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Qualitätskritierien für ausgeloste Bürgerräte

· Bürgerbeteiligung

In den antiken Städten Griechenlands war Demokratie anders verstanden worden. Da waren ausgeloste Bürger die Repräsentanten, die stellvertretend für die Allgemeinheit die politischen Fragen behandelten. Die Auswahl von Repräsentanten per Los erfährt gerade eine Renaissance. In Städten (wie Wuppertal und Mannheim), in Regionen (wie dem Vorarlberg oder dem deutschsprachigen Osten Belgiens), in Staaten (wie Irland und Frankreich) und bald auch in der Europäischen Union wird mit Formen dieser sogenannten Los-Demokratie bzw. Aleatorischen Demokratie experimentiert.

Viele dieser Beispiele sind ermutigend. Sie zeigen, wie kompetent, verantwortlich und zivilisiert Bürger*innen auch konflikthafte Themen bearbeiten. Sie haben beispielsweise in Irland mit dazu beigetragen, dass beim Streit um die Gleichgeschlechtliche Ehe und um das Abtreibungsrecht die Polarisierungen beendet werden konnten. Gerade weil dieses noch junge Pflänzchen demokratischer Entwicklung so vielversprechend ist, braucht es Schutz.

Während des „Partizipations-Innovations-Camp“ in der Evangelischen Akademie Loccum hatte der Journalist Timo Rieg, der die Website „Aleatorische Demokratie“ betreibt und sich als einer der ersten in Deutschland mit der Los-Demokratie beschäftigt hat, zu einem Gedankenaustausch zu den Qualitätskriterien für ausgeloste Bürgerinnenräte eingeladen. In diesem Gespräch wurden fünf Handlungsfelder für notwendige Qualitätskriterien identifiziert.

Qualitätskriterien für einen Bürgerrat mit ausgelosten Bürgerinnen und Bürgern

Fünf Handlungsfelder

Das erste Handlungsfeld betrifft die politische Einbindung von Bürger*innenräten. Um Vertrauen in die Wandlungsfähigkeit der Demokratie aufzubauen, braucht es klare Zusagen der politischen Instanzen, wie die Empfehlungen der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt werden.

Das zweite Handlungsfeld beschäftigt sich mit der Auswahl und aktiven Einbindung der Teilnehmenden. So wurde beispielsweise darauf hingewiesen, dass die finanzielle Honorierung für das Engagement der Teilnehmenden geklärt sein muss und dass es ein aktives „Onboarding“ braucht, damit die Eingeladenen den Schritt über die Schwelle wagen.

Das dritte Handlungsfeld dreht sich um die Frage, wie Wissen und Expertise in die Beratung der Bürgerräte eingebunden werden kann: Wie kann das Wissen der Gruppe gehoben werden und wie und unter welchen Bedingungen sind inhaltlich Betroffene und externe Experten einzubinden?

Die Rahmung, die Methoden und die Moderation von Bürger*innenräten sind Inhalte des vierten Handlungsfeldes. Hier ging es beispielsweise um Fragen der Sprache, der Moderationshaltung und der Methoden, die nach Möglichkeit sich nicht nur auf Reden beschränken. Im letzten Handlungsfeld wurde thematisiert, wie die wachsende Zahl der Versuche zu einem gemeinsamen Lernnetzwerk führen kann: Welche Verfahren und Methoden bewähren sich, welche sollten weiter entwickelt werden? Es gibt erste Interessenten, die die Entwicklung von Qualitätskriterien unterstützen wollen. Sie sind herzlich eingeladen, dazu beizutragen. Interessenten können sich bei Timo Rieg oder mir melden.

 

Rolf Schneidereit